Ausblick auf die Spielzeit 2020/2021 im Residenztheater
Die erste Spielzeit der Intendanz Andreas Beck wurde am 11. März 2020 abrupt durch den Lockdown unterbrochen. Neun Produktionen konnten nicht mehr wie geplant zur Premiere oder Uraufführung kommen. Die Spielzeitplanung 2020/2021 war druckfertig und musste ˗ wie die abgebrochenen Inszenierungen ˗ auf Eis gelegt werden. Die Saison wurde an die aktuelle Situation angepasst, ein neuer Spielplan vor dem Hintergrund der Pandemie konzipiert, sowohl thematisch als auch für die Sicherheit der KünstlerInnen und ZuschauerInnen.
Es war und ist unsere Absicht, mit und auf dem Theater auf das Hier und Heute zu reagieren: das Theater als Chronist des Heute. Und so zieht sich durch den neuen Spielplan 2020/2021 die Frage, auf welch unterschiedliche Weise Menschen mit Erschütterungen umgehen.
Auf dem Spielplan 2020/2021 stehen 25 Premieren, darunter 14 Uraufführungen, sowie die konzertante Vorpremiere der Uraufführung „Lola M.“ von und mit Georg Ringsgwandl zu Silvester. Geplant sind 13 Premieren im Residenztheater (darunter fünf ursprünglich für 2019/2020 angekündigte Produktionen), zwei Uraufführungen im Cuvilliéstheater und 10 Produktionen im Marstall (darunter vier eigentlich für 2019/2020 angekündigte Inszenierungen).
Eröffnet wird die Spielzeit 2020/2021 im Residenztheater am 25. September 2020 mit Ulrich Rasches Inszenierung von Heinrich von Kleists „Das Erdbeben in Chili„. Nach „Die Räuber“, „Elektra“ und „Woyzeck“ zeigt Rasche ausgehend von Kleists Novelle die Brüchigkeit einer Gesellschaft in einer Ausnahmesituation, die auch den Mitmenschen anders sichtbar macht, und reflektiert unser eigenes Erschrecken.
Am 27. September 2020 folgt im Marstall die Uraufführung „M (3) – Eine Stadt sucht einen Mörder (Hässliche Furcht oder schönste Gegenwehr?)“ als Konzertinstallation und damit letztem Teil des Audio-, Film und Musiktheater-Triptychons von Schorsch Kamerun und Cathy van Eck, das die Schrecken und Chancen der Gegenwart beschreibt. Eine Koproduktion mit der Münchener Biennale ˗ Festival für neues Musiktheater.
Unser Beitrag zur deutschen Einheit ist die Koproduktion mit dem Creative VaQi Theater Seoul „Borderline„. Es geht um Flucht und Ankunft, Trennung und Wiedervereinigung, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zweier Länder mit geteilter Geschichte. Die Uraufführung ist am 3. Oktober 2020 im Marstall.
Alexander Eisenach inszeniert erstmalig in München. Mit seiner Version von Oskar Maria Grafs Roman über die politischen Wirren der Zeit vor hundert Jahren „Einer gegen alle“ betrachtet er aus heutiger Perspektive das Ringen um eine neue Normalität in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Uraufführung am 9. Oktober 2020 im Residenztheater.
Miloš Lolić bringt am 11. Oktober 2020 im Marstall „Der Preis des Menschen“ von Thiemo Strutzenberger zur Uraufführung. Die Frage nach dem Wert oder sogar dem „Preis des Menschen“ untersucht Strutzenbergers Stück von der Sklaverei bis in die Gegenwart. Eine Frage, die nicht erst angesichts der aktuellen Ereignisse in den USA und der weltweiten „Black lives matter“-Bewegung bedauerlicherweise neue Aktualität gewonnen hat. Die Uraufführung war ursprünglich für April 2020 geplant und konnte wegen des Lockdowns nicht stattfinden.
Nobelpreisträger Knut Hamsun zeigt mit seinem Protagonisten Ivan Kareno eine Figur zwischen politischer Radikalisierung und realer Seuche und die Schwierigkeit eines moralisch tadellosen Lebens auf. Die Inszenierung der Kareno-Trilogie musste aufgrund des Lockdowns verschoben werden. Stephan Kimmig bringt „Spiel des Lebens“ nun am 23. Oktober 2020 im Residenztheater zur Premiere.
Roland Schimmelpfennig hat in seinem neuen Auftragswerk für das Residenztheater „Der Kreis um die Sonne“ das kaleidoskopartige Bild einer Gesellschaft entworfen, die aufgrund einer Pandemie plötzlich zum Stillstand kommt. Es inszeniert Hausregisseurin Nora Schlocker, die Uraufführung ist am 14. November 2020 im Residenztheater.
Mit einer ersten Arbeit in München präsentiert sich der russische Regisseur Evgeny Titov und bringt das Werk eines weiteren Nobelpreisträgers auf die Bühne des Residenztheaters. Eugene O’Neill untersucht in „Gier unter Ulmen“ Begierden und Verrohung, was in Zeiten von social distancing eine ganz neue Rolle spielt. Premiere am 11. Dezember 2020 im Residenztheater.
Das im Rahmen der „Welt/Bühne 2019/2020“ als Auftragswerk entstandene Stück „Marienplatz“ des polnischen Autors Beniamin Bukowski kreist um den realen Vorfall der Selbstverbrennung eines bis heute unidentifizierten Mannes 2017 auf dem Münchner Marienplatz. Der ungarische Regisseur András Dömötör bringt es am 19. Dezember 2020 im Marstall zur Uraufführung und stellt sich damit zum ersten Mal in München vor.
An Silvester gibt es im Residenztheater die konzertante Vorpremiere der ursprünglich für April 2020 im Cuvilliéstheater geplanten ‚abenteuerlichen Oper‘ „Lola M.“ von und mit Georg Ringsgwandl.
Als erste Premiere der neuen Spielzeit im Cuvilliéstheater zeigen wir im Januar 2021 die Uraufführung einer neuen Produktion von Thom Luz. Der Schweizer, der seit Beginn der Intendanz von Andreas Beck Hausregisseur am Residenztheater ist, gilt als Spezialist für poetisch flirrende, vielschichtige musikalische Theaterabende, die bereits mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden. Freuen Sie sich auf eine im Wortsinn luftige Inszenierung.
Der dem Münchner Publikum bereits bekannte Regisseur Robert Borgmann inszeniert „Hamlet“, das wohl berühmteste Werk der Dramenliteratur, das wie kein anderes eine Zeit des Umbruchs beschreibt und das Theater zum Wesen der Welt erklärt. Wir spielen die Übersetzung von Roland Schimmelpfennig. Die Premiere ist für Januar 2021 im Residenztheater geplant.
Des weiteren für Januar geplant ist die (ursprünglich für Juni angekündigte) Uraufführung „Es waren ihrer sechs“ nach dem gleichnamigen Roman von Alfred Neumann im Marstall. Erstmals in München inszeniert der wohl renommierteste Theatermacher der gegenwärtigen polnischen Theaterszene Michal Borczuch ein Stück nicht nur über den deutschen Widerstand.
Der australische Autor und Regisseur Simon Stone, dessen radikal zeitgenössische, zum Berliner Theatertreffen eingeladene und von 3sat für das Fernsehen aufgezeichnete Interpre- tation von Anton Tschechows „Drei Schwestern“ in dieser Spielzeit am Residenztheater zu sehen war, beschreibt in seinem neuesten Auftragswerk für das Residenztheater „Unsere Zeit“ in einem Reigen Figuren und Konstellationen aus Ödön von Horvàths Werken für unsere aktuellste Gegenwart neu. Uraufführung im Februar 2021 im Residenztheater.
Die junge Regisseurin Elsa-Sophie Jach adaptiert Herbert Achternbuschs 1976 von Werner Herzog verfilmtes Drehbuch „Herz aus Glas“ für die Bühne und gibt damit ihr Debüt in München. Uraufführung im März 2021 im Marstall.
In seinem neuesten Auftragswerk für das Residenztheater „Fall Falstaff“ versammelt der mehrfach ausgezeichnete österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer Figuren und Motive aus Shakespeares Historiendramen und erzählt in einer hochmusikalischen Sprach- partitur von der Figur Falstaff, oft als sinnlicher Antipode eingesetzt, aber bislang selten titelgebender Protagonist eines Stücks. Hausregisseurin Nora Schlocker bringt nach „Die Verlorenen“ und „Vor Sonnenaufgang“, die beide am Residenztheater zu sehen sind, sowie „Edward II. Die Liebe bin ich“ bereits zum vierten Mal einen Palmetshofer-Text zur Uraufführung. Im März im Cuvilliéstheater.
Die ursprünglich für März 2020 geplante Münchner Premiere von Tony Kushners 1993 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Epos „Engel in Amerika“ in der Inszenierung von Simon Stone findet nun für März 2021 im Residenztheater statt. Anlass ist die AIDS-Pandemie, die bis heute 21 Mio. Opfer gefordert hat.
Die italienische Regisseurin Silvia Costa, die sich damit erstmals dem Münchner Publikum vorstellt, bringt die autobiografische Erzählung „Erinnerung eines Mädchens“ von Annie Ernaux, einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller*innen der Gegenwart, auf die Bühne. Ein kurz vor der #MeToo-Bewegung erschienenes, berührendes und zutiefst politisches Dokument vom Ende des Schweigens einer Frau. Uraufführung im März 2021 im Marstall.
Der spanische Opern- und Schauspielregisseur Calixto Bieito kehrt mit seiner Version des „Dekalog“ ans Residenztheater zurück und befragt im Geiste Krzysztof Kieslowskis die moralische Unruhe der Jetztzeit. Der international gefeierte Filmzyklus beleuchtet als gesellschaftliches Panorama in zehn Episoden jeweils ein biblisches Gebot in unserer säkularen Gegenwart. Gibt es einen moralischen Kodex, dem wir uns verpflichtet fühlen? Premiere im April 2021 im Residenztheater.
Hausregisseurin Julia Hölscher inszeniert Anja Hillings als Auftragswerk entstandenes Stück „Teile (Hartes Brot)“ nach „Das harte Brot“ von Paul Claudel. Die sprachgewaltige Dramatikerin, die sich bereits in mehreren Überschreibungen des Werks Claudel angenommen hat, holt sein historisches Drama um den moralischen Verfall, der dazu führt, dass selbst ein Mord legitimierbar zu sein scheint, in unsere Zeit. Uraufführung im April 2021 im Marstall.
Die für April 2020 geplante Münchner Premiere von PeterLichts „Tartuffe oder das Schwein der Weisen“ in der zum Berliner Theatertreffen und von 3sat für das Fernsehen aufgezeichneten Inszenierung von Claudia Bauer findet nun im April 2021 im Residenztheater statt.
Sebastian Baumgarten, einer der profiliertesten (Musik-)TheaterregisseurInnen seiner Generation inszeniert Georg Büchners „Dantons Tod„. Die ursprünglich für Mai 2020 im Residenztheater angekündigte Premiere ist nun für Mai 2021 angesetzt.
Die für Juli 2020 geplante Münchner Premiere von Stefan Bachmanns Inszenierung „Graf Öderland„, ein Aufstand gegen das Unbekannte in 12 Bildern von Max Frisch, die als Koproduktion mit dem Theater Basel entstanden ist und dort kurz vor dem Lockdown Premiere hatte, findet nun im Mai 2021 im Residenztheater statt.
Bastian Kraft kehrt für seine Inszenierung „Was der Butler sah“ von Joe Orton nach München zurück. Zeigte er bereits mit „Lulu“ eindrucksvoll, wie sich audiovisuelle Technik und lustvolles Spiel miteinander verbinden lassen, wird er einmal mehr anhand von Ortons Stoff Geschlechterrollen aufbrechen. Premiere ist im Juni 2021 im Marstall.
Daniela Kranz, Leiterin des „Resi für alle“, bringt ˗ sobald die Situation dies zulässt ˗ „Mehr schwarz als lila“ nach dem gleichnamigen Roman der Münchner Autorin Lena Gorelik, als partizipatives Projekt mit Jugendlichen und dem Ensemble im Marstall zur Uraufführung.
Theater in Zeiten der Pandemie. Nicht nur die neuen Verhaltensregeln zur Hygiene, die sowohl das Zuschauerhaus als auch die Bühne und das Spiel prägen werden, haben Einfluss auf die Gestaltung des Spielplans gehabt. Theater zu spielen ist wohl die gemeinschaftlichste Kunstform, das Theater bleibt ein Ort gemeinsamen Erlebens und Diskutierens. Ein Ort der Auseinandersetzung und der Inspiration. Wie sehr wir diese Orte brauchen, wurde uns allen in den Monaten des Lockdowns deutlich.